Im Zentrum des Interesses der Stiftung stehen beispielhafte Persönlichkeiten, die in ihrem künstlerischen Schaffen, ihrem Denken, Planen oder Verhalten Maßstäbe für eine freiheitliche Entwicklung der Region und des Landes gesetzt haben. Die Stiftung fördert öffentlich wirksame Maßnahmen, die Aufklärung über wenig bekannte oder unbekannte Teile des kulturellen Erbes von Weimar und Umgebung verbreiten. Sie organisiert und kuratiert Ausstellungen, veröffentlicht Werke über vergessene Künstler, Denker und Gelehrte der Region und plant die Vergabe von Stipendien, um hochbegabten jungen Künstlern und Wissenschaftlern den Einstieg in ein Gebiet von Bedeutung für das kulturelle Erbe der Region zu erleichtern. Sie hilft begabten örtlichen Kräften, Anschluss an die überregionalen Bewegungen in Kunst und Wissenschaft zu finden und beleuchtet den Beitrag regionaler Künstler und Wissenschaftler zum Weltkulturerbe in Vergangenheit und Gegenwart, wie der universelle Gedanke generell das Richtmaß dieser Stiftung zur Bewertung und Förderung örtlicher Initiativen ist.
Die Stiftung Fleischhauer ist eine gemeinnützige Stiftung des öffentlichen Rechts mit Sitz in Weimar/Thüringen. Sie wurde am 3. April 2019 vom Thüringer Ministerium für Inneres und Kommunales unter der Nummer 21-1222-1/2019 als rechtsfähige Stiftung bürgerlichen Rechts gemäß § 80 Abs. 2 BGB in Verbindung mit. § 4 Abs. 1 Satz 1 und § 7 des Thüringer Stiftungsgesetzes zugelassen. Gründungs- und Vorstandsvorsitzende der Stiftung ist die Osteuropahistorikerin Prof. Dr. Eva Ingeborg Fleischhauer aus Erfurt, die zuletzt als Gastwissenschaftlerin an der Staatsuniversität St. Petersburg lehrte und das Zentrum für Russische Reformen gründete und leitete. Stellvertretender Vorstandsvorsitzender ist der Schatzmeister der Stiftung, Diplomkaufmann Christian Beutl aus Regensburg. Gründungsmitglieder des Vorstands sind unter anderen der Kunsthistoriker Prof. Dr. Kai-Uwe Schierz, Direktor der Kunstmuseen Erfurt und Honorarprofessor der Bauhaus Universität Weimar, die Kunsthistorikerin Dr. Angelika Steinmetz-Oppelland, Sprecherin des Verbandsrats im Verband Bildender Künstler Thüringens e.V., und der Weimarer Stadthistoriker Diplombauingenieur Hubert Erzmann aus Berlin. Die Geschäfte der Stiftung führt der bekannte gebürtige Weimarer Diplombauingenieur Herr Bert Singer. Zweck der Stiftung ist die Erhaltung und Pflege des geistigen und kulturellen Erbes Thüringens unter besonderer Berücksichtigung der Stadt Weimar und ihrer Umgebung. Im Unterschied zu anderen Weimarer Stiftungen stellt die Stiftung Fleischhauer die schöpferische Einzelpersönlichkeit ins Zentrum ihrer Untersuchungen: Sie rückt Personen aus den Bereichen Kunst, Wissenschaft und Wirtschaft, die in besonderer Weise zur Schaffung dieses geistig-kulturellen Erbes beigetragen haben, in den Fokus des öffentlichen Interesses und setzt sich dabei für die Wiederentdeckung wenig bekannter und vergessener Vertreter ihres Faches ein. Sie deckt ihren Beitrag zur freiheitlichen Entwicklung des Landes auf, indem sie ihr zerstreutes oder verschollenes Lebenswerk sammelt und der Öffentlichkeit In Ausstellungen und Veröffentlichungen zugänglich macht. Ihr wichtigstes Arbeitsinstrument ist die biographische Forschung. Diese bezieht Personen aus Vergangenheit und Gegenwart ein, die in Weimar und Umgebung geboren sind und lebten, als Zuwanderer nach Weimar gelangt sind und sich freiwillig oder unfreiwillig, kurzzeitig oder dauerhaft in der Stadt und ihrem Umfeld aufgehalten und in der einen oder anderen Weise mit den geistigen Werten der Klassikerstadt identifiziert haben: Innere und äußere Freiheit, Toleranz in Glaubens- und Meinungsfragen und Mehrung der Aufklärung in der örtlichen Bevölkerung. Mit dieser selbstgesetzten Aufgabe unterscheidet sich die, in privater Initiative gegründete und aus privaten Mitteln gespeiste, Stiftung von ihren großen, aus der öffentlichen Hand finanzzierten, Weimarer Vorgängerinnen, mit denen sie die Sorge um die Erhaltung und Vermittlung des Erbes dieser einzigartigen Stadt teilt: Der Klassik Stiftung Weimar, die - 2003 aus dem Zusammenschluss der Stiftung Weimarer Klassik mit den Kunstsammlungen zu Weimar hervorgegangen - 27 Museen, Schlösser, historische Gebäude und Parks sowie bedeutende Sammlungen der Literatur und Kunst, unter ihnen das Goethe- und Schiller-Archiv mit fünf Millionen Blatt, vereint und mit 427 Mitarbeitern und einer Million Besuchern im Jahr die zweitgrößte Kulturstiftung Deutschlands ist, und der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald und Mittelbau Dora, die - 1958 von der DDR-Regierung als "Nationale Mahn- und Gedenkstätte Buchenwald" gegründet - in den 1990er Jahren grundlegend umgestaltet und erweitert wurde. Denn der Zweck der Klassik Stiftung besteht darin, die örtlichen Stätten und Sammlungen von der Aufklärung bis zur Gegenwart in ihrem historischen Zusammenhang als Zeugnisse nationaler Kultur zu bewahren, erschließen und ergänzen, um sie zu Zentren der Kultur, Wissenschaft und Bildung zu machen. Ihre Arbeitsschwerpunkte liegen in der Epoche der Weimarer Klassik, schließen deren Nachwirkungen in der Kunst und Kultur des 19. Jahrhunderts ein und umfassen mittlerweile auch die Werke von Franz Liszt, Friedrich NIetzsche, Henry van der Velde bis hin zum Bauhaus und der Moderne. Der Zweck der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald liegt in der Bewahrung, wissenschaftlichen Begründung und Gestaltung der Stätten der Verfolgung und Vernichtung aus der Zeit des Nationalsozialismus als Orten der Trauer und der Erinnerung und ihrer Zugänglichmachung für eine möglichst breite Öffentlichkeit in pädagogischer Absicht. Während damit im Zentrum der Arbeiten der Klassik Stiftung die Erhaltung der baulich-dinglichen Werte und Bewahrung der Sammlungen des nationalen Erbes stehen und die Stiftung Gedenkstätten Buchenwald die Orte des Leidens und der Vernichtung zur Belehrung der Zeitgenossen und zum Gedenken der Nachwelt pflegt und vermittelt, stellt die neugegründete Stiftung Fleischhauer den individuellen schöpferischen Menschen in den Brennpunkt ihrer Aumerksamkeit. Sie geht davon aus, dass der fähige Einzelkämpfer für Freiheit und Würde im historischen Prozess leicht durch die Raster der öffentlichen Wahrnehmung fällt, und möchte ihm - unabhängig von den wechselnden gesellschaftlichen Normen von Anerkennung oder Ablehnung - ein unvoreingenommenes Forum bieten. Sie ist sich dabei der Tatsachen bewusst, dass die bekanntesten Künstler, Wissenschaftler, Erfinder und Unternehmer des Großherzogtums Sachsen-Weimar-Eisenach und speziell der Residenzstadt Weimar und ihrer Umgebung der Klassik Stiftung Weimar bekannt und ihre Lebensleistungen längst erfasst und berücksichtigt sind und die weniger bekannten oder unbekannten Vertreter der Künste und Wissenschaften in aller Regel dem zweiten und dritten Glied ihrer Berufsgruppe angehörten. Doch vertritt sie den Standpunkt, dass auch diese nachrangigen Talente und Berufungen nicht selten aufgrund widriger Zeitumstände, erschwerender Charakterdispositionen und abweichender Mode- und Geschmachsrichtungen nicht zu anhaltender Anerkennung gelangten, die von ihnen geschaffenen Werte aber durchaus dem kulturelle Erbe Thüringens zuzurechnen sind. Diese verborgenen Schätze zu heben und ihren vernachlässigten, verschmähten oder vergessenen Schöpfern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen, ist Ziel und Aufgabe der Stiftung Fleischhauer. Dieser Schwerpunkt öffnet der Stiftung Fleischhauer ein Feld der Forschung, das nicht von ihren großen Vorgängerinnen besetzt ist. So hat, um einige Beispiele zu nennen, die Wirtschaftspionierin Luise Kramer aus Mühlhausen im Elsass (1833-1888), die ab 1859 um ihre Einbürgerung in Weimar kämpfte, keinen Eintrag in der Stadtgeschichte erhalten. Die erfolgreiche Unternehmerin bliebe weiter unbekannt, hätten nicht die Historiker der Stiftung ihren beharrlichen Kampf um Niederlassung als Textilfabrikantin untersucht. Ohne ihre Nachforschungen wäre das Lebenswerk von Luise Kramer auf Dauer vergessen, da der Erfolg ihrer Neuerungen aufgrund der fehlenden Weimarer Steuerlisten nicht adäquat bewertet werden kann. Als unehelicher Sohn J. W. v. Goethes wurde der junge Jenenser Mediziner Johann Wilhelm Gottlob Treuter (1781-1855) mit Empfehlungsschreiben nach Russland geschickt. Dort hat er als Arzt und Freimaurer Bekanntheit erlangt, ohne je nach Weimar zurückkehren zu können. Dieser Vermittler der Ideen der Aufkärung an die haupstädtische russische Intelligenz bliebe in seiner Heimat vergessen, wäre die Stiftung Fleischhauer nicht von seiner Nachfahrin zur Veröffentlichung seines persönlichen Dossiers autorisiert worden. Für die Klassik Stiftung würden die Biographien dieser Weimarer Bürger bestenfalls periphäres Interesse besitzen, während der Lebensweg zweier jüdischer Historiker nach ihrer Befreiung aus dem KZ Buchenwald ganz aus den Forschungsfeld der Stiftung Gedenkstätten Buchenwald herausfällt: Georges Haupt aus Satumare/Transsilvanien in Rumänien (1928-1978) und Walter Zwi Bacharach aus Hanau (1928-2014) mussten als kindliche Häftlinge Schwerstarbeit im Lager Buchenwald respective Dora verrichten und haben den größten Teil ihrer Familien verloren. Eine januskopfartige Untersuchung des religiösen Tel Aviver Gelehrten Bacharach und des atheistischen Pariser Historikers der europäischen Arbeiterbewegung weist nach, wie stark sich die beiden Persönlichkeiten trotz konträrer Voraussetzungen dem klassischen Erbe verpflichtet wussten. Warum also Weimar? In historischer Sicht hatte die "große Stadt" Weimar-Jena nicht nur zur Dienstzeit Goethes am Weimarer Hof "an beiden Seiten viel Gutes", - ihr Nimbus zog auch in der nachklassischen Epoche eine große Zahl überdurchschnittlich begabter Künstler, Gelehrter und Erfinder an. Infolge dieses Zustroms erreichte sie bis zum Ende des Ersten Weltkriegs eine für deutsche Städte dieser Größenordnung und Beschaffenheit einzigartige Konzentration an schöpferischen Energien und im Resultat seltene Dichte an herausragenden Persönlichkeiten. Während die Großen unter ihnen der Zeit ihren Stempel aufprägten und in die Annalen des geistigen Weimar eingingen, haben die dii minores selten Spuren in der Geschichte der Stadt hinterlassen. Standen sie im Schatten jener überragenden Persönlichkeiten und teilten ihre Ideen, konnten sie bestenfalls den Ruhm von Epigonen ernten. Häufiger zahlten sie für ihre Nähe zu den anerkannten Genien den Preis des Vergessens. Diesen Persönlichkeiten im zweiten und dritten Glied des geistigen Weimar, die aus denselben Institutionen hervorgingen, aus demselben Geist der Aufklärung schöpften und unter den gleichen Bedingungen reiften, aber keine dauernde Anerkennung ihrer Zeitgenossen gefunden haben, gilt das besondere Interesse der Stiftung Fleischhauer. Als ersten Wahl-Weimarer dieser Gruppe, von dem bekannt ist, dass er sich von den Institutionen der Stadt die Verwirklichung seiner Talente und von seinen Zeitgenossen bleibende Anerkennung versprach, hat die Stiftung Fleischhauer den Maler Kurt Hanns Hancke (1887-1971) wiederentdeckt. Vgl. die Veröffentlichungen der Stiftung Fleischhauer: Kurt Hanns Hancke. Daa Lebenswerk: Unbekannte Gemälde, Aquarelle und Zeichnungen aus öffentlichem und privatem Besitz, Gera 2019; Der Weimarer Maler Kurt Hanns Hancke, Aufzeichnungen 1946-1953, hrgg. von Hubert Erzmann und Eva Ingeborg Fleischhauer, Gera 2021 und Der Weimarer Maler Kurt Hanns Hancke 1887-1971. Eine Wiederentdeckung, Gera 2024. Obgleich Hancke nach eigenem Ermessen über die Voraussetzungen zum großen Künstler verfügte, fiel er in jene verlorene Generation, die infolge des deutschen Sonderwegs im 20. Jahrhundert - die Häufung dreier kultur- und kunstfeindlicher Regime - um die Verwirklichung seiner Berufung gebracht wurde. In die Magdeburger Familie eines mittleren Bahnbeamten geboren, wählte Hancke die Ausbildung zum Baumeister oder Architekten. Er nahm eine Maurerlehre auf und besuchte die Abendkurse der reformistischen Handwerker- und Kunstgewerbeschule seiner Stadt. Als sein Talent in dekorativer Malerei erkannt wurde, wechselte er zur Vollausbildung der Gewerbeschule über und absolvierte mit einem Staatsstipendium sämtliche Kurse mit Auszeichnung. 1909 schrieb er sich zur Fortbildung in Porträtmalerei an der Großherzoglich-Sächsischen Kunstschule in Weimar ein, heiratete eine Weimarer Bürgerstochter und ließ sich dauerhaft in der Stadt an der Ilm nieder. Der vierjährige Kriegsdienst des Reserveoffiziers im Felde unterbrach abrupt die erste Phase seiner gelungenen Etablierung als freischaffender Maler, bis er 1919 traumatisiert als Kriegsinvalide in seine veränderte Wahlheimat zurückkehrte. Seine erfolgreiche Präsenz in der Ausstellung "Weimarer Künstler" gab ihm 1919 neue Hoffnung auf Verwirklichung seiner künstlerischen Vision. Er engagierte sich in den demokratischen Künstlervereinigungen, dem Reichsverband bildender Künstler Deutschlands und dem Reichswirtschaftsverband bildender Künstler Deutschlands e. V., und übernahm die Funktionen des Thüringer Ausstellungsleiters und Vizevorsitzenden. Dank intensiver, selbstloser Arbeit brachten ihn die zwanziger Jahre der Weimarer Republik seiner Selbstverwirklichung als Maler näher, als die frühen Kämpfe der Nationalsozialisten um die Macht in Thüringen die errungenen Sicherheiten gefährdeten. Die Machtergreifung der NSDAP (1933) und die Zerschlagung der demokratischen Vereinigungen (1934) zwangen ihn in die innere Emigration. Er wich dem nationalsozialistischen Triumpf in der `Führer-Stadt´nach Hetschburg bei Weimar aus, führte ein isoliertes, spartanisches Leben und hat diesen Ort bis zu seinem Tod nicht mehr verlassen. Bei Kriegsende kurzzeitig auf einen Neuanfang und die Weiterentwicklung seiner Techniken und Malweise hoffend, wurde er sich bald seines verlorenen Postens als "bürgerlicher Künstler" im sozialistischen Deutschland bewusst. Seine Versuche, einen angemessenen Platz unter den in Weimar verbleibenden Künstlern einzunehmen, scheiterten. Trotz intensiven Schaffens und gewagten Experimentierens hat er seine hermetische Zurückgezogenheit nicht mehr sprengen und die fast vollständige Isolation nicht wieder aufbrechen können. Zwar hat ihm die Weimarer Kunsthalle (heute Kunsthalle Harry Graf Kessler) in den 1960er Jahren eine Retrospektive ermöglicht. Doch hat die ideologische Auseinandersetzung mít seinem Werk seine Anerkennung verhindert. Seine zweite Eheschließung mit einer deutschbaltischen Adligen hat die letzten verbliebenen Kollegen aus politischen Rücksichtnahmen von ihm abrücken lassen. Die Abreise seiner nächsten Verwandten in die Bundesrepublik Deutschland ließ den alternden Künstler in vollständiger Einsamkeit zurück. Die Stiftung Fleischhauer hat einen größeren Teil seines Oeuvre ermitteln und erwerben können. Er ist geeignet, die Qualität dieses vergessenen Werks eindrucksvoll zu dokumentieren. Diese Sammlung Hancke besteht zur Zeit aus einem Grundstock von etwa 30 Gemälden aus verschiedenen Lebensabschnitten, seinem privaten Nachlass mit etwa neunzig Blättern unterschiedlicher Genres und Entstehung sowie der Schenkung Sievers mit fünfzehn Arbeiten aus den unterschiedlichen Epochen seines Schaffens.
Die Schenkung Sievers
Den Künstler Kurt Hanns Hancke verband eine lebenslange Freundschaft mit dem Hamburger Pädagogen Richard Sievers (1885-1966). Die Freunde hatten einander 1916 als junge Reserveoffiziere beim Einsatz ihrer Einheit in Rumänien kennengelernt und die restliche Kriegszeit zusammen verbracht. Nach ihrer Rückkehr nach Weimar respective Hamburg führten sie ab Kriegsende eine intensive Korrespondenz, die erst mit dem Tod von Richard Sievers endete. Sie umfasste annähernd einhundert ausführliche Briefe jedes Korrespondenten aus der Zwischen- und Nachkriegszeit, die, mit den Worten von Richard Sievers, "in Kummer und Freuden beiderseits - das Wachsen und Reifen einer tiefen und schönen ... Freundschaft" widerspiegelten. Sievers hat diesen unersetzlichen Schatz an authentischer Information über das Leben und Schaffen seines Freundes Hancke 1955 in Voraussicht seines nahen Todes vernichtet. Doch hat sein Sohn Horst-Dieter Sievers einige Briefe aus der Zeit nach dem Zweiten Weltkrieg aufbewahrt und der Stiftung Fleischhauer zur Verfügung gestellt. Nach der Teilung Deutschlands war Hancke mit seiner Frau wiederholt im Hause Sievers´ in Hamburg-Eppendorf zu Gast und lernte dort auch Angehörige der deutsch-argentischen Familie seines Freundes kennen. Diese bekundeten - wie der Hausherr - lebhaftes Interesse an den Werken des Thüringer Künstlers und nahmen einige von ihnen mit nach Südamerika. Sievers bemühte sich in dieser Zeit, seinem Freund, der in Ostdeutschland einseitigen Informationen ausgesetzt war, die er als "gemein und hetzerisch" empfand, auf Reisen und im persönlichen Gespräch die wirkliche Entwicklung Westdeutschlands nahezubringen, bevor Hancke "schweren Herzens aus der Freiheit wieder ins Joch" der kunstfeindlichen ostdeutschen Behörden zurückkehren musste. Hancke, der seinem kunstinteressierten Freund schon während des Ersten Weltkriegs einige Studien gewidmet hatte, brachte ihm als Gastgeschenk neuere Arbeiten aus seinem Weimarer Atelier mit. So gelangte im Juni 1953 eine Zweitfassung seines Gemäldes "Sonnenblume im Herbst" aus dem Jahre 1934, das sich bereits im Erfurter Angermuseum befand, "ohne Rahmen" nach Hamburg, - der Künstler hatte seinen Reisekoffer so präparieren lassen, dass er in einem verborgenen Fach unbemerkt eine ungerahmte, bemalte Leinwand über die innerdeutsche Grenze in die Bundesrepublik Deutschland bringen konnte. In Hamburg überreichte er seinem Freund das Geschenk mit dem Hinweis, die Erstfassung des Gemäldes sei 1936 zur Ausstellung im "Haus der deutschen Kunst" in München angenommen worden; doch sei Adolf Hitler, der "traditionell den ersten Rundgang durch die Ausstellung ... gemacht" habe, vor der "Sonnenblume" stehen geblieben und habe geäußert: "Das Bild ist lebensverneinend! Es wird abgehängt!" Ironisch habe Hancke, der mit seinem Freund während der NS-Zeit häufig sarkastische "Witze" über Adolf Hitler machte, hinzugefügt, er hoffe, dass der Empfänger "beim täglichen Anblick der Blume nicht seine Lebensfreude einbüße". Doch Richard Sievers war "stolz" auf dieses Gemälde, das "Herr Hitler als `lebensverneinend´" von der Ausstellung ausgeschlossen hatte, und betonte, im Gegenteil "sehr glücklich - dankbar" über dieses unerwartete Geschenk zu sein. Neben der "Sonnenblume" schenkte Hancke seinem Freund im Laufe ihrer fünfzigjährigen Freundschaft zehn weitere Arbeiten, unter ihnen zwei, 1916 in Rumänien entstandene, Aquarelle. Eines davon, die "Rumänische Dorfstraße", widmete Hancke seinem Freund in Erinnerung an die gemeinsam unternommenen rumänischen "Kriegsfahrten". Daneben gelangten eine Zeichnung der "Silberdisteln", die Frontalfassung der Burgruine Wellheim in Franken und mehrere Thüringer und Alpen- Landschaften aus verschiedenen Perioden seines Schaffens in den Besitz des Freundes. Nach dessen Tod gingen elf Werke des Künstlers in den Besitz seines einzigen Sohnes Horst-Dieter Sievers über. Horst-Dieter Sievers (1928-2023) war Schauspieler, hatte im Wuppertaler Ensemble unter der Leitung von Gustav Gründgens seine ersten Bühnenerfolge in klassischen Rollen und gastierte danach an großen Bühnen, darunter am Wiener Burgtheater. Den Künstler Kurt Hanns Hancke lernte er im letzten Lebensjahr seines Vaters (1965) in Weimar kennen. Anlässlich des Gastspiels seines Ensembles am Deutschen Nationaltheater nahm er persönlich Kontakt zum Künstler auf und verbrachte mit ihm einen Tag in der Klassikerstadt, wo ihm Hancke neben Sehenswürdigkeiten der Stadt auch seine Werke in öffentlichen Gebäuden zeigte, - ein für Sievers "unvergessliches Erlebnis". Nach dem Tod seines Vaters setzte Horst-Dieter Sievers den Briefwechsel mit dem Künstler fort und chauffierte ihn auch durch den Schwarzwald, als Hancke mit seiner Frau die Witwe seines Freundes während ihres Kuraufenthaltes in Bad Wildbad besuchte. In seinen letzten Lebensjahren nahm Horst-Dieter Sievers lebhaften Anteil an den Arbeiten der Stiftung Fleischhauer zur Wiederentdeckung des Malers Kurt Hanns Hancke. Bei seinem Tod (17. Mai 2023) hinterließ er der Stiftung testamentarisch die in seinem Besitz befindlichen Arbeiten des Künstlers. Zu den elf Werken Hanckes, die ihm sein Vater vermacht hatte, waren fünf weitere Arbeiten hinzugekommen, die sich im Besitz anderer Familienangehöriger befunden hatten. Die Nichte des Erblassers, Frau Elke Stecher, und ihr Ehemann Helmut Stecher, die die Stiftung dankenswerterweise über diese Schenkung informierten, reisten zur Übergabe dieser Werke am 7./8. Oktober 2023 erstmals in ihrem Leben in Weimar an. Neben dem, bereits im Besitz der Stiftung Fleischhauer befindlichen, Grundstock der Sammlung Hancke im Umfang von rund dreißig Arbeiten aus verschiedenen Schaffensperioden des Künstlers und etwa neunzig Arbeiten unterschiedlicher Genres, die sich in dem, von Herrn Michael König in Hetschburg geborgenen, Nachlass Hanckes befanden, ermöglicht die Schenkung Sievers mit ihren bisher unbekannten Bildern aus der Frühzeit des Schaffens Hanckes einen ebenso bemerkenswerten wie erfreulichen Zuwachs an Kenntnis seines Gesamtswerks.
Website "Stiftung Fleischhauer"
Kurt Hanns Hancke
Kurt Hanns Hancke